WAS SIND FAKTEN, UND WAS IST ERFINDUNG?

Aus dem Nachwort der Autorin

Maria und die Männer
Fakt ist, Maria verließ ihren Ehemann Johann 1685, um mit ihren Töchtern bei der niederländischen Sekte der Labadisten zu leben, der ihr Stiefbruder und ihre Mutter angehörten. Scheidungen waren damals schwierig, und warum Maria ging, ist nicht bekannt. Spekulationen über den Grund gibt es viele: Johann habe Maria betrogen, durch einen Skandal gedemütigt, ihre Kunst nicht ausreichend unterstützt oder sei in ihren Augen nicht ehrgeizig genug gewesen.
Johann konnte später die Scheidung durchsetzen. Als Maria vor ihrer Surinamreise ihr Testament machte, nannte sie sich darin eine Witwe. Heiraten sollte sie nicht mehr, was aber nicht bedeuten muss, dass sie allein geblieben ist.
Ihre Liebesgeschichte mit Jan de Jong ist erfunden, inspiriert von der Frage: Was für ein Mann hätte Marias Herz gewinnen können? Wer hätte ihren Mut und ihre Abenteuerlust bewundert?
 
Jan, der Freibeuter, Pirat und Schmuggler
Jan ist eine fiktive Figur, aber eine Laufbahn wie seine war im 17. Jahrhundert möglich. Zunächst überfielen Freibeuter in staatlichem Auftrag Schiffe fremder Nationen. Als die europäischen Staaten mehr Kooperation beschlossen (denn schließlich profitierten alle von sicheren Handelswegen), wurden die Freibeuter arbeitslos. Viele machten dann auf eigene Faust weiter und überfielen nun beliebige Schiffe. Die geraubte Ware verkauften sie weiter – natürlich nicht auf offiziellem Weg. Zwar beanspruchte die Westindische Handelskompanie das Monopol für den Schiffsverkehr mit westlichen Kolonien, aber das durchzusetzen war schwer. Um 1700 gab es ebenso viele Schmuggelschiffe wie Kompanieschiffe, und selbst auf Letzteren wurde geschmuggelt. Seeleute verdienten nicht gut, arbeiteten hart und riskierten ihr Leben auf See. Da war es reizvoll, sich unter der Hand etwas dazuzuverdienen.
 
Marias wissenschaftlicher Ansatz
Maria beschrieb die Entwicklung von Schmetterlingen über Ei, Raupe und Puppe und zeichnete die Tiere auf ihren Futterpflanzen. Wenn es der Harmonie eines Bildes diente, fügte sie aber auch schon einmal eine Eidechse hinzu. Ihre Beschreibungen sind genau, aber sie gab den Tieren keine Namen. Nur die Pflanzen führte sie mit lateinischen Bezeichnungen auf.

Ihre Sprache klingt blumig. Tag- und Nachtfalter nennt sie Sommervögelein und Mottenvögelein, und Kokons heißen bei ihr Dattelkerne. Ich habe in der Geschichte die heutigen Begriffe verwendet, bin bei Marias Beobachtungen aber nah an ihren Texten geblieben. Die meisten Insekten, die Maria in den Surinamkapiteln findet, wurden so auch von ihr beschrieben.

Aus heutiger Sicht ist manches wissenschaftlich nicht korrekt, zum Beispiel bezeichnet Maria die Nymphe des Ohrwurms als Wurm (doch Würmer haben keine Beine). Auch einigen Irrtümern unterlag Maria.
Sie etablierte das Missverständnis, Vogelspinnen fräßen Vögel. Einiges wird sie nicht selbst beobach­tet, sondern Berichten entnommen haben. An einer Stelle schreibt sie, surinamische Priester ernährten sich von Kolibris, fügt aber skeptisch hinzu: wie man mir sagte.
 
Der Abdruck vom Abdruck
Auf schwarz-weißen Bildern ist es von Vorteil, wenn die Linien des Kupferstichs deutlich zu sehen sind. Motive, die koloriert werden sollen, wirken dagegen besser, wenn die Linien hinter den Farben verschwinden. Dafür müssen sie sehr zart sein. Auf einen frischen Druck presste Maria ein zweites Blatt und malte erst auf diesem. Das gibt dem Bild Aquarellcharakter, und die Schmetterlinge scheinen zu schweben.

Vermutlich wandte Maria als eine der Ersten diese Technik an. Umdruckverfahren, bei denen Motive auf Papier oder Gewebe gedruckt und von dort auf andere Materialien übertragen werden, kamen erst Mitte des 18. Jahrhunderts in Emaille- und Porzellanmanufakturen auf.
 
Zar Peter
Fakt ist: An Marias Todestag ließ der Zar einen großen Teil ihrer Sammlung kaufen. Vieles davon befindet sich noch heute in Sankt Petersburg. Es ist nicht bekannt, dass der Zar vorher schon etwas von Maria erwarb – obwohl er vor ihrer Surinamreise in Amsterdam war und dort andere Kunst erstand. Die Episode um die Bilder, die Maria sich zurückholt, habe ich erfunden, basierend auf folgender Spekulation: Maria und Peter haben sich schon 1697 getroffen, als der Zar durch Europa zog, um von Wissenschaftlern zu lernen und sein Land zu modernisieren. Maria muss um Unterstützung für ihre Reise geworben haben, denn in dieser Hinsicht war sie sehr rührig. (Wer, wenn nicht ein Zar könnte so etwas sponsern?) Aber sie hatte keinen Erfolg. Ich vermute, der Zar hat sie übersehen und ihre Arbeiten erst später geschätzt. Vielleicht wollte er trotzdem nicht allzu viel zahlen. War das so, wurde der Zar sich wohl erst nach Marias Tod mit den Töchtern über einen Preis einig. Demnach wäre Zar Peter der prominenteste unter den Zeitgenossen, die zunächst nicht an Maria geglaubt hatten.
 
Assistentinnen und die Meisterin
Zu Marias Zeit hatten Künstler üblicherweise nicht nur Schüler, sondern auch Assistenten, die den Stil ihrer Meister beherrschten und an den Bildern mitwirkten, indem sie Hintergründe und Aus­schmückungen übernahmen. Bei den Merians übernahmen die Töchter Johanna und Dorothea diesen Part. Als Maria 1715 nach einem Schlaganfall nicht mehr zeichnen konnte, setzten sie Marias Arbeit fort. Nach dem Tod ihrer Mutter vollendete und veröffentlichte Dorothea in Marias Namen ein Buch über europäische Insekten.
 
Kollegen, Förderer und Netzwerke
In Amsterdam hatte Maria Zugang zu den Kuriositätenkabinetten (Wunderkammern) der Wohl­haben­den. Dort sah sie Exponate aus aller Welt. Namentlich erwähnte sie in einem Brief die Sammlungen von Nicolaas Witsen (Bürgermeister), Levinus Vincent (Stoffhändler) und Frederik Ruysch. Ruyschs Tochter Rachel nahm bei Maria Unterricht und wurde später selbst eine berühmte Malerin. Übrigens ist Rachels Umsicht bei der Wahl eines Ehemanns keine Erfindung. Erst im für damals hohen Heirats­alter von neunundzwanzig Jahren vermählte sie sich mit dem Porträtmaler Juriaen Pool und bekam mit ihm zehn Kinder.

Im Botanischen Garten gingen die Merians ein und aus. Johanna zeichnete dort im Auftrag Pflanzen. Auch Agnes Block, die stolze Züchterin der Ananaspflanze, hat zu dieser Zeit in Amsterdam gelebt und Maria Zugang zu ihren Gewächshäusern gewährt.

Weitere historische Figuren sind Georg Eberhard Rumpf, für dessen Werk Amboinische Raritäten­kammer Maria zeichnete, Aletta Lescaille, deren Buchhandlung ein Künstlertreff war, und Daniel Foe, der seinen Nachnamen zu Defoe aristokratisierte und Robinson Crusoe schrieb.

Maria war bekannt und wurde eingeladen. Doch finanzielle Unterstützung blieb aus. Ihre Surinam­reise finanzierte sie allein.
 
Greitje und das Spinnhaus
Greitje ist erfunden, das Spinnhaus gab es aber. Auch für Männer existierte eine Zuchtanstalt, das Rasphuis. Dort wurde brasilianisches Rotholz verarbeitet (geraspelt). Wer in diesen Anstalten einsaß, hatte leichte Verbrechen begangen und sollte durch harte Arbeit umerzogen werden. Im 17. Jahr­hundert war das ein recht neuer Gedanke. Zuvor hatte man selbst Jugendliche für Diebstahl mit dem Tod bestraft.

Füllten sich die Häuser zu sehr, schickte man Insassinnen und Insassen als Arbeitskräfte in die Kolonien.
 
Aderi
Maria brachte wirklich eine surinamische Indianin mit zurück nach Amsterdam. Diese Frau half ihr bei den Texten zu ihrem Surinambuch, und Maria übernahm die Bezeichnung von Pflanzen aus ihrer Sprache (Cassava, Manihot, Maccai). Der Name der Indigenen ist leider nicht überliefert, und ihre Spur verliert sich.
 
Plantagenbesitzer
Maria äußerst sich an mehreren Stellen in ihrem Surinambuch enttäuscht darüber, dass die Plantagen­besitzer nur an Profit interessiert seien und sich nicht die Mühe machten, andere Pflanzen als Zucker zu kultivieren (etwa Vanille, Trauben oder Kirschen). Auch beklagt sie, für ihr Interesse an Insekten verspottet worden zu sein.
 
Sklaven und Maroons
Was Maria über die Sklaverei dachte, wird in ihren Texten deutlich. Sie erwähnt die harte Behandlung der Sklaven und berichtet von Freitoden aus Verzweiflung.

Könnte sie Kontakt zu Maroons gehabt haben? Darüber würde sie vermutlich nicht berichtet haben. Fest steht, sie gewann das Vertrauen von Indigenen, die im Landesinneren Seite an Seite mit Maroons lebten.

Auch besuchte sie im April 1700 die abgelegene Labadistenplantage La Providentia und unternahm Expeditionen in den Urwald. In der Beschreibung einer Kröte ist zu lesen, diese Tiere würden von den Schwarzen gern gegessen. Maria verwendet hier nicht den Ausdruck Sklaven. Vielleicht, weil es keine waren?